Zwischen Ethik und Wirtschaft: Das EU-Lieferkettengesetz

Zwischen Ethik und Wirtschaft: Das EU-Lieferkettengesetz

Im Fokus des europäischen politischen Diskurses stand zuletzt das EU-Lieferkettengesetz, dessen Ziel es ist, Unternehmen für Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung in ihren globalen Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen. Die finale Abstimmung zu diesem Gesetz wurde jedoch aufgrund einer Blockade durch die FDP verschoben, eine Entwicklung, die innerhalb der EU für erhebliche Irritationen sorgte. Trotz seiner Beteiligung an den Verhandlungen zum Lieferkettengesetz und seiner ursprünglichen Zustimmung verschickte der deutsche Justizminister und FDP-Politiker Marco Buschmann ein persönliches Schreiben an die EU-Mitgliedsstaaten, um sie von dem Vorhaben abzubringen.

Eine kurze Übersicht dazu, warum derartige Gesetzgebung so wichtig ist und weshalb besonders die EU hier in der Pflicht steht

Das EU-Lieferkettengesetz reagiert auf globale Missstände in der Produktion: 1,4 Milliarden Arbeitende sind unter unwürdigen Bedingungen tätig, 28 Millionen sind Opfer von Zwangsarbeit, und die Zahl der arbeitenden Kinder hat sich aufgrund der COVID-Pandemie auf 160 Millionen erhöht, wovon die Hälfte unter 12 Jahren alt ist. Angesichts ihres globalen BIP-Anteils von rund 15% hat die EU, als zweitgrößter Akteur im Welthandel, eine besondere Verantwortung, gegen diese Probleme vorzugehen und durch das Lieferkettengesetz faire Wettbewerbsbedingungen und globale Unternehmensverantwortung zu fördern.
Das EU-Lieferkettengesetz erfordert von Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel und in der Außerhausverpflegung eine umfassende Prüfung ihrer Lieferketten im Hinblick auf Umweltschutz und Menschenrechte. Es fordert die Identifikation von Risiken, Einrichtung von Beschwerdeverfahren und transparente Berichterstattung, um sicherzustellen, dass alle Teile der Wertschöpfungskette ethischen und ökologischen Standards entsprechen. Insbesondere für den Lebensmittelsektor bedeutet dies die Anpassung an strengere Emissionsziele und die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien, die mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar sind. Das Gesetz sieht auch eine behördliche Überwachung und mögliche zivilrechtliche Haftung vor, um die Einhaltung zu gewährleisten und Unternehmen zur Verantwortung in ihren globalen Lieferketten zu motivieren.¹

Anwendungsfälle und Relevanz für Querfeld

Warum derartige Gesetze besonders auch im Lebensmittelhandel relevant sind, zeigt die Beschwerde von Oxfam und ASTAC gegen Edeka und Rewe. Seit der Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes können zivilgesellschaftliche Organisationen nun rechtlich gegen Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen vorgehen. Oxfam hat diese neue Möglichkeit genutzt und am 02. November 2023 Beschwerde gegen Rewe und Edeka beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingereicht, nachdem diese Unternehmen über Menschenrechtsverletzungen auf ihren Zulieferer-Plantagen in Ecuador und Costa Rica informiert wurden. Die Vorwürfe beinhalten Hungerlöhne, gefährliche Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit Pestizidbelastungen und die Unterdrückung von Gewerkschaftsmitgliedern. Während Aldi und Lidl gesprächsbereit schienen und den direkten Kontakt zu den Gewerkschaften suchten, blieben Rewe und Edeka bei ihrer Verweisung auf Zertifizierungen und Siegel, ohne die Arbeiter*innen angemessen zu berücksichtigen.²

Die Ausbeutung von Arbeitern und Umweltprobleme in der Lebensmittelproduktion sind auch in Europa ein ernstes Problem. Speziell in Spaniens Almería, dem "Gemüsegarten Europas", werden afrikanische Erntehelfer mit Hungerlöhnen ausgebeutet, die weit unter dem Mindestlohn liegen. Trotz Arbeitszeiten von bis zu 70 Stunden pro Woche erhalten sie nur für 40 Stunden Bezahlung, ohne Entschädigung für Überstunden oder Wochenendarbeit. Hinzu kommt der mangelnde Schutz bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln, die ohne Schutzkleidung erfolgt, und das Fehlen grundlegender sanitärer Einrichtungen.

Diese Missstände sind Teil einer Lieferkette, die bei deutschen Supermärkten wie Rewe, Lidl und Edeka endet. Diese verweisen allerdings nur auf Zertifizierungen, die die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards garantieren sollen. Doch Untersuchungen von Oxfam und anderen Organisationen enthüllen, dass viele dieser Zertifizierungen durch manipulierte Kontrollen entwertet werden. Ein erheblicher Teil der Plastikfolien, die für die Treibhäuser genutzt werden, endet zudem auf illegalen Müllhalden, was die Umweltproblematik verschärft.
Auch hier kann mit Hilfe des bestehenden deutschen und zukünftig des europäischen Lieferkettengesetzes geklagt werden und ein Verweis auf eine Zertifizierung wie global GAP (die übrigens von Supermärkten und Agrarbetrieben als Selbstkontrolle gegründet wurde) ist nicht mehr ausreichend.³

Wir als Sozialunternehmen begrüßen diese Entwicklungen sehr! Für uns ist ein nachhaltiger Umgang mit Mensch und Natur keine gesetzliche Auflage, sondern moralische Grundvoraussetzung für unser Handeln. Natürlich bedeutet dies zusätzlichen Aufwand und damit Kosten, allerdings möchten wir nicht an einem Wirtschaftssystem teilnehmen, welches diese einfachen Grundsätze nicht respektiert. Jede Verbesserung der Standards bei den großen Lebensmittelhändlern und damit bei all ihren zuliefernden Unternehmen ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Aktueller Stand des Gesetzes und weitere Entwicklungen

Nach langen Verhandlungen und einer signifikanten Verwässerung im Vergleich zur ursprünglichen Fassung hat der EU-Rat das EU-Lieferkettengesetz beschlossen. Dieses neue Gesetz markiert einen wichtigen Schritt in der Bemühung, Unternehmen in der EU für die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen. Die Zustimmung des EU-Rats wird als ein Zeichen der Hoffnung für die Menschenrechte und den Umweltschutz betrachtet, trotz der Kritik an den erheblichen Abschwächungen des Gesetzestextes. Wichtige Einschränkungen betreffen unter anderem die reduzierte Anzahl von Unternehmen, die von dem Gesetz erfasst werden, sowie die Einschränkung der Verantwortung auf direkte Geschäftspartner​​​​​​.
​Der Widerstand gegen das Lieferkettengesetz spiegelt die tieferliegende Debatte über die Balance zwischen wirtschaftlicher Effizienz und der Notwendigkeit, soziale und ökologische Standards global durchzusetzen, wider. Das EU-Lieferkettengesetz soll über das deutsche Gesetz hinausgehen, indem es Unternehmen für die gesamte Lieferkette, nicht nur für direkte Zulieferer, verantwortlich macht. Dieser umfassende Ansatz zielt darauf ab, Missstände effektiver anzugehen, wird jedoch von Kritikern als unrealistisch und überbordend angesehen.
Noch mehr Informationen zu dem Gesetz und warum es so wichtig ist findet ihr in den Quellenangaben und insbesondere hier: lieferkettengesetz.de.

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Quellenangaben:
Bild 1
Bild 2
Bild 3
¹ csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Europa/Lieferketten-Gesetzesinitiative-in-der-EU/lieferketten-gesetzesinitiative-der-eu-art.html
² oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2023-11-03-taugt-lieferkettengesetz-oxfam-reicht-beschwerde-gegen-edeka
³ rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2023/02/lieferkettengesetz-tomaten-berlin--brandenburg-produktion-menschenunwuerdig-bedingungen-rechte.html

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