Tag gegen Lebensmittelverschwendung 02.05.2024: Ein fragwürdiges Jubilläum

Tag gegen Lebensmittelverschwendung 02.05.2024: Ein fragwürdiges Jubilläum

Am 02.05. ist der Tag gegen Lebensmittelverschwendung und wir sind mit dem Bündnis Lebensmittelrettung vor dem Landwirtschaftsministerium für eine symbolische “Geburtstagsfeier” verabredet. Die Nationale Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung wurde im Februar 2019 vorgelegt. Dieses Jubiläum nehmen wir als Bündnis Lebensmittelrettung zum Anlass der Strategie zum fünften Geburtstag zu gratulieren und der Bundesregierung eine Analyse, unsere Forderungen und einen geretteten „Jubiläumskuchen“ zu übergeben. In diesem Blogbeitrag erklären wir euch die Hintergründe zur Aktion und warum es nach wie vor akuten Handlungsbedarf gibt.

Was ist die “Nationale Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung”?

Mit der Veröffentlichung der Strategie im Jahr 2019 bekräftigte die Bundesregierung ihre Verpflichtung gegenüber des SDG 12.3: Halbierung der Lebensmittelverschwendung auf Ebene des Einzelhandels und der Verbraucher:innen und Reduzierung entlang der Produktions- und Lieferkette bis zum Jahr 2030. Die Strategie gegen Lebensmittelverschwendung formuliert den Idealzustand aus, dass Lebensmittelabfälle künftig „gar nicht erst entstehen“ sollten. Um das zu erreichen, wurden vier Handlungsfelder identifiziert:

  1. Politischer Rahmen: Die Einrichtung von Gremien und Arbeitsgruppen, wie das Bund-Länder-Gremium und das Nationale Dialogforum, soll die Umsetzung und Evaluierung von Maßnahmen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung koordinieren und überwachen.
  2. Prozessoptimierung in der Wirtschaft: Dieses Handlungsfeld zielt darauf ab, durch freiwillige Maßnahmen von Unternehmen Prozesse zu optimieren, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
  3. Verhaltensänderungen bei Akteuren: Hier liegt der Fokus auf Bildungs- und Informationsmaßnahmen, um das Verhalten der Akteure zu ändern und so die Lebensmittelverschwendung zu verringern.
  4. Forschung und Digitalisierung: Durch Förderung von Forschung und Einsatz digitaler Technologien sollen neue Potenziale zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung erschlossen werden.

Was ist bisher passiert?

Die sektorspezifischen Dialogforen wurden wie geplant eingerichtet - für Primärproduktion, Verarbeitung, Handel, Außer-Haus-Verpflegung und Privathaushalte. Alle wichtigen Stationen entlang der Wertschöpfungskette sind somit abgebildet worden und es haben in allen Foren entsprechende Vernetzungstreffen stattgefunden. Auch wir von Querfeld haben am Dialogforum Außer-Haus-Verpflegung teilgenommen.

Das Ziel war von Anfang an klar: In einer Grundsatzvereinbarung bekannten sich Verbände des Agrar- und Ernährungssektors, eine Verringerung der Lebensmittelabfälle bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent zu erreichen. Doch 50% wovon genau? Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat für das Jahr 2020 eine Lebensmittelverschwendung von knapp 11 Millionen Tonnen an die Europäische Kommission gemeldet, jedoch basierend auf anderen Messmethoden als die zuvor in 2019 durch das Thünen-Institut für das Jahr 2015 veröffentlichte Baseline von 12 Mio. Tonnen Lebensmittelverschwendung. Und was ist seitdem passiert? Nun ja, die Daten für 2021 und die der darauffolgenden Jahre sind – im Gegensatz zu den Meldungen anderer EU-Mitgliedstaaten – bisher nicht verfügbar. Ob die Strategie wirkt und ob die Menge an verschwendeten Lebensmitteln signifikant reduziert werden konnte, ist also für die Öffentlichkeit nicht transparent und nachvollziehbar.

Es gibt einzelne Punkte über die verschiedenen Handlungsfelder hinweg, die auf Fortschritte schließen lassen: In Handlungsfeld 4 (Digitalisierung und Forschung) beispielsweise gab es die Unterstützung in der Entwicklung eines digitale Tools für die Weitergabe von Lebensmitteln an die Tafeln oder in Handlungsfeld 1 (Politischer Rahmen) die Tatsache, dass zumindest die Dialogforen abgehalten wurden.

Eine echte Beurteilung der Fortschritte der verschiedenen Handlungsfelder ist jedoch genauso schwierig wie die Betrachtung der Datenlage, da keine einheitliche Evaluation der Strategie vorliegt. Eigentlich sollten in allen Dialogforen, mit Ausnahme des Dialogforums Privathaushalte, ein Reduktionsziel und entsprechende Maßnahmen definiert werden, um so einem systematischen Reduktionspfad folgen zu können. Allerdings wurden bisher in nur zwei Sektoren Zielvereinbarungen zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen verabschiedet. Die Dialogforen Primärproduktion und Verarbeitung schafften es nicht, sich auf eine gemeinsame Zielvereinbarung zu einigen, welche die besprochenen Maßnahmen institutionalisieren oder fortführen würde. Verbindliche Reduktionssziele für den jeweiligen Sektor gibt es hier nicht, was die Gefahr der Verschiebung der Verschwendung entlang der Lieferkette birgt, insbesondere auf vorgelagerte Akteure der Lieferkette im Bereich der Landwirtschaft.

Auch innerhalb der jeweiligen Bereiche ist die Partizipation von Betrieben an den Initiativen zurückhaltend. Nach drei Jahren Kompetenzstelle haben 0,02% aller deutschen umsatzsteuerpflichtigen Betriebe die Beteiligungserklärung im Sektor Außer-Haus-Verpflegung unterzeichnet. Auch das nationale Dialogforum, das gemäß der Strategie Akteure und Sektoren vernetzen und jährlich über Fortschritte berichten soll, hat sich bisher nur zweimal, nämlich in den Jahren 2019 und 2021 getroffen, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken bestätigt.

Zum fünften Jubiläum der Strategie zeigt sich also: Die Idee war gut, aber offenbar sind nicht alle Aktuere zur Umsetzung bereit. Das ist dramatisch, denn von den 15 Jahren, innerhalb derer laut SDG 12.3 die Lebensmittelverschwendung halbiert werden soll, sind schon fast zehn verstrichen.

Wie könnte es besser gehen?

Wir fordern mit dem Bündnis Lebensmittelrettung, dass eine bundesweit zuständige, unabhängige Kompetenzstelle zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten und -abfällen eingerichtet wird. Nur so glauben wir daran, dass erprobte Best Practices institutionalisiert werden können, Akteure kompetent beraten und vernetzt werden und relevante
Daten nicht vorenthalten, sondern aktiv bereitgestellt werden.

Darüber hinaus muss die problematische Datenlage dringend behoben werden. Besonders durch die ungenauen und oft fehlenden Daten auf den frühen Stufen der Lieferketten entsteht ein verzerrtes Bild und das politische Augenmerk liegt oft auf den Verbraucher:innen. Das sagen nicht nur wir, als Akteure, die täglich mit diesem Bereich der Lieferkette konfrontiert sind, sondern das sagt das gesamte Bündnis Lebensmittelrettung. Wir als Bündnis Lebensmittelrettung fordern daher eine Berichtspflicht für Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette, in der jährlich öffentlich über Lebensmittelverluste und -abfälle berichtet wird, einschließlich der Gründe für deren Entstehung und der geplanten oder ergriffenen Gegenmaßnahmen.

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