Das Ende des Querfeld-Tütengeschäfts und die Zukunft der Lebensmittelversorgung

Das Ende des Querfeld-Tütengeschäfts und die Zukunft der Lebensmittelversorgung

Liebe Retter:innen Community,

uns erreichen sehr viele Nachrichten, in denen ihr eure Trauer über das Ende der Abotüten und Feldbotschaften äußert. Wir sind darüber gerührt, traurig aber vor allem extrem dankbar. Mit diesem Konzept konnten wir über die letzten drei Jahre eine wertvolle Alternative für insgesamt 8101 Menschen bieten, welche mit uns gerettet haben.
In diesem Beitrag möchte ich euch einmal aus meiner Sicht erklären, wie wir auf die aktuellen Entwicklungen blicken, wie es überhaupt zu den Feldbotschaften kam und warum wir jetzt diese harte Entscheidung treffen mussten.

Teil 1: Die Anfänge unseres Feldbotschaften-Modells:

Wir retten mittlerweile seit knapp 9 Jahren Lebensmittel. Angefangen haben wir noch als “Ugly Fruits” und ohne feste Firmenstruktur, aber mit dem klaren Ziel, etwas gegen die vollkommen sinnlose Lebensmittelverschwendung von krummem Gemüse zu unternehmen. Zu diesen Zeiten haben wir noch selbst mit den Transportern von Freunden Lebensmittel bei regionalen Bio-Betrieben abgeholt und zB in Form von Überraschungskisten an Kindergärten ausgeliefert.

Mit einer Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt konnten wir bis zum Ausbruch der Pandemie ein europaweites Netzwerk an Bio Betrieben aufbauen und diese mit professionellen Küchen (sogenannten B2B Kund:innen) in Deutschland verknüpfen, so dass wir im Februar 2020 knapp 10 Tonnen pro Woche retten konnten. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon hin und wieder über unsere Freund:innen von Too Good To Go Rettertüten angeboten aber im Vergleich zu unserem B2B Bereich waren die geretteten Mengen nicht relevant.

Die Schließung fast aller öffentlichen Betriebe während des ersten Lockdowns hat uns dann sehr schnell umdenken lassen. Wir haben mit anderen Sozialunternehmen den Stay Home Club Berlin gestartet und direkt damit begonnen, korrekte Lebensmittel nach Hause zu liefern.

Aus der tollen Resonanz und dem Gefühl des starken Zusammenhalts innerhalb der ersten Wochen dieser globalen Krise entstand nach und nach das Konzept der Feldbotschaften. Auch wenn der Umbau unseres gesamten Geschäftsmodells innerhalb weniger Wochen extrem anstrengend war, so war es auch ein wahnsinnig aufregender und vielversprechender Schritt dahin unserer Vision von einer fairen und nachhaltigen Lebensmittelversorgung für alle näher zu kommen.

Konkret wollten wir Möglichkeiten schaffen, nachhaltige Lebensmittel direkt von den Produzent:innen zu kaufen, anstatt über die großen Handelskonzerne. In Deutschland teilen sich die vier größten Handelskonzerne (Edeka, Rewe, Schwarz und Aldi) 75% des Marktes für Lebensmittel auf. Diese Konzerne üben durch ihre Marktmacht extremen Druck auf diverse Produzent:innen aus. So sind sie eben unter anderem verantwortlich dafür, dass ein Großteil des krummen Gemüses nicht verkauft wird, weil sie in ihren Einkaufsrichtlinien festlegen, dass dieses nicht angenommen wird.

Auf unseren ersten öffentlichen Aufruf für das Konzept haben wir tolle Resonanz bekommen und die ersten Feldbotschaften sind gestartet. Bis heute wurden insgesamt 380 Feldbotschaften eröffnet! Für uns war auch schnell klar, dass wir die Lieferungen nach Hause so nachhaltig wie möglich gestalten wollten, weshalb wir direkt den Kontakt zu regionalen Radkurieren gesucht haben, welche unsere Tüten an den meisten Orten ausfahren konnten.

Insgesamt haben wir bis zum heutigen Tag mit allen Feldbotschaften und Home Delivery Retter:innen gemeinsam 506.466 Kilogramm an Lebensmitteln retten können. 🤯🤯

Teil 2: But why stop?

Trotz aller positiven Entwicklungen und dem Support von so vielen tollen Menschen, mussten wir leider in der aktuellen Situation feststellen, dass wir mehr Kund:innen verlieren als wir durch unser geringes Marketingbudget hinzugewinnen können. Die Gründe hierfür waren vielfältig, aber einer tauchte in den letzten Wochen und Monaten immer häufiger auf: der Preis für unsere Produkte.

Die Folgen des fürchterlichen Kriegs gegen die Ukraine, speziell die Inflation, zwingen viele Menschen dazu zu sparen. Bedauerlicherweise sind Lebensmittel aber auch nachhaltige Produkte allgemein oft der erste Kostenpunkt, an dem gespart wird. Viele Menschen greifen aktuell zu billigeren, wenn auch umweltschädlicheren Alternativen. Nachhaltiger Konsum ist nicht günstig, aber die Preisersparnis der Alternativen, bezahlen wir alle über Steuern mit den gesellschaftlichen und ökologischen Folgekosten. Man kann schwer von Menschen in unserem aktuellen System erwarten, dass sie diese Folgekosten mit in ihre Konsumentscheidungen einfließen lassen und doch habt ihr als unsere Kund:innen und Unterstützer:innen genau dies getan. Dafür sind wir wahnsinnig dankbar!

Leider scheint das Marktpotential für derartige Lösungen derzeit relativ schwach zu sein und uns fiel es zunehmend schwerer neue Menschen zu finden, welche mitretten und gleichzeitig wöchentlich eine interessante Kombination an geretteten Obst- und Gemüsesorten in eure Tüten zu packen, welche für uns finanziell auch leistbar ist. Die Organisation rund um unsere Tüten, die Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung der Software und der Anspruch, einen guten Service zu bieten, verursachen Kosten, welche wir nicht aus den Erträgen decken konnten. Wir hätten erneut versuchen können, die Preise zu erhöhen, um die finanzielle Lücke zu schließen, die wir aktuell durch das Tütengeschäft haben, doch dann wären wir in einem Preissegment, das wir für nicht mehr tragbar halten. Also blieb uns letzten Endes nur die schwierige Entscheidung unsere Feldbotschaften zu schließen und keine Querfeld-Tüten mehr anzubieten.

Das macht uns traurig, ist aber auch ein wichtiger Schritt, damit das Unternehmen weiter bestehen kann und wir weiter Lebensmittel retten können und auch nach diesem starken Dämpfer in Zukunft weiter für unsere Vision eintreten können. Wir hoffen, ihr könnt diese Entscheidung nachvollziehen, folgt uns weiterhin auf unseren Kommunikationskanälen und tragt auch weiterhin durch eure eigenen täglichen Entscheidungen zu einer nachhaltigeren und gerechteren Welt bei.

Wir sind nach wie vor überzeugt, dass eine faire und nachhaltige Lebensmittelversorgung für alle keine Utopie, sondern eine Voraussetzung für ein faires, globales Miteinander ist. Dies kann nicht komplett den Konsumentscheidungen von Individuen überlassen werden, aber jede Entscheidung, welche ihr für - oder noch wichtiger: gegen - ein Produkt trefft, macht einen kleinen Unterschied.

Wir selbst werden den Dezember nutzen, um uns neu zu sortieren und nach drei Jahren dauerhaftem Krisenmodus mal zwei Wochen durchzuschnaufen. Danach wird unser Fokus wieder darauf liegen, möglichst viele Kantinen mit geretteten Lebensmitteln zu versorgen. Aber auch politisch werden wir uns weiter gegen Lebensmittelverschwendung und für eine gerechte Lebensmittelversorgung einsetzen. Dies tun wir sowohl durch unsere Arbeit in dem Bündnis Lebensmittelrettung und im Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland als auch durch unser direktes Wirken.

Danke nochmals an euch alle dafür, dass ihr mit uns gerettet habt, uns folgt und uns unterstützt! Auch wenn es aktuell nicht einfach ist, motiviert es enorm, diesen Rückhalt zu spüren.

Querfeld - News

Fight food waste
Abonniere unseren Newsletter und bleibe auf dem Laufenden